"Von der Schule zur Arbeit"

FR-Artikel sorgt für Empörung

Richtigstellung und Protest-Leserbrief

In der Frankfurter Rundschau vom 18.7.14 schrieb Peter Hanack unter der Überschrift Von der Schule zur Arbeit, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam die Fachoberschule und die zweijährige höhere Berufsfachschule abschaffen wollten. Das Übergangssystem (Bildungsgänge, die an einer beruflichen Schule vor Berufseintritt weiterqualifizieren), solle reduziert werden. Sandro Witt, der stellvertretende Vorsitzenden des DGB Hessen-Thüringen, sprach - so war zu lesen - im Zusammenhang mit beruflichen Bildungsgängen von "Quatsch".  Das alles sorgte bei Kolleginnen und Kollegen, die sich von ihrer Gewerkschaft verraten fühlten, für sehr große Empörung. "Wenn das gewerkschaftliche Position ist, dann trete ich aus", war vielfach zu hören, und am Wochenende stand das Telefon nicht mehr still.

Die GEW Offenbach-Stadt handelte schnell, um ungerechtfertigte Austritte zu verhindern, mit einem distanzierenden Brief an die FR, in dem klargestellt wurde, dass dies keine GEW-Positionen sind, und der Bitte an den GEW-Landesvorstand, hier ebenfalls für Klarheit zu sorgen. Heute fanden Gespräche mit dem DGB statt.

Der DGB stellte dabei dar, dass der Artikel den Inhalt einer gemeinsamen Pressekonferenz der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU), der Arbeitsagentur und des DGB irreführend wiedergegeben hat. Die Position, die Fachoberschule und die zweijährige höhere Berufsfachschule abzuschaffen, habe allein der VhU vertreten. Es sei aber vereinbart worden, auf der Pressekonferenz keine Kontroversen auszutragen.

Das hat anscheinend bei dem FR-Mitarbeiter zu der irrigen Auffassung geführt, auch "die Gewerkschaften" stünden hinter dieser Forderung. Die Reduzierung des Übergangssystems ist allerdings tatsächlich DGB-Position. Die Wirtschaft soll dazu bewegt werden, mehr Ausbildungsplätze bereitzustellen.

Natürlich sind wir sehr erleichtert, dass der fatale Eindruck, der stellvertretende Vorsitzende des DGB Hessen-Thüringen wolle FOS und HBFS abschaffen, nicht zutrifft, und das möchten wir auch allen empörten GEW-Kolleginnen und Kollegen mit diesem Newsletter mitteilen. Der DGB hat sich bereits mit der FR in Verbindung gesetzt, um eine Richtigstellung zu erwirken.

Wir wünschen uns aber vom DGB ein offensiveres Eintreten für die beruflichen Schulen: Wenn der Kollege Witt auf der Pressekonferenz dem VhU-Vertreter deutlich widersprochen hätte, wäre das sicher auch bei Herrn Hanack von der FR angekommen. Und wir wünschen uns einen sehr sensiblen Umgang mit dem Übergangssystem, dass vielen jungen Menschen Chancen einräumt, die sie sonst nicht hätten. Der Begriff "Quatsch" ist hierbei nicht hilfreich. Dass die Wirtschaft mehr geeignete Ausbildungsplätze anbieten sollte, ist richtig; die persönlichen Voraussetzungen, die dafür notwendig sind, sich für eine berufliche Laufbahn entscheiden und die Ausbildung absolvieren zu können, müssen viele junge Menschen aber erst noch entwickeln - und genau dazu dienen die gescholtenen Schulformen.

Vor allem wünschen wir uns, dass die bei uns organisierten Fachleute für diese Bildungsgänge, die Lehrkräfte an den Schulen, als erste Ansprechpartner für derartige Fragen dienen. Sie kennen die Situation aus der Praxis, sie kennen die Schülerinnen und Schüler mit ihren Vorstellungen, Wünschen, Bedürfnissen und Möglichkeiten persönlich.

Der CDU-nahen VhU, der im Übrigen nur ein Teil der hessischen Unternehmer angehört, sollten Gewerkschaftsfunktionäre hingegen mit sehr kritischer Distanz begegnen: Ein neoliberales System, dass die berufliche Bildung tendenziell privatisiert, gilt es mit allen Kräften zu verhindern.

Wir dokumentieren hier einen am Wochenende verfassten Leserbrief an die FR, der mit dem Kreisvorstand der GEW Offenbach-Stadt abgestimmt wurde. Der Kreisvorstand will zusätzlich - wenn wir es schaffen, noch vor den Ferien - eine Stellungnahme zum Thema verabschieden. Wer will, kann gerne per Mail mitdiskutieren: Einfach auf diesen Newsletter antworten, den Text leite ich dann gern an den KV-Verteiler weiter.

Leserbrief zum Artikel "Von der Schule zur Arbeit" (18. Juli 2014)

"In Ihrem Artikel "Von der Schule zur Arbeit" (Peter Hanack, 18.7.14) schreiben Sie, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften fordern, "Bildungsgänge wie die Fachoberschule und die zweijährige höhere Berufsfachschule" abzuschaffen. Das ist nicht richtig, was die gewerkschaftliche Seite betrifft.

Bei der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU), deren Geschäftsführer Sie zitieren, handelt es sich um einen Interessenverband der Wirtschaft. Als Vertreter der Gewerkschaften zitieren Sie Sandro Witt, den stellvertretenden Vorsitzenden des DGB Hessen-Thüringen. Ihrem Artikel zufolge redet er in Zusammenhang mit beruflichen Ausbildungsgängen von "Quatsch". Anschließend schreiben Sie von Fachleuten, die sich einig wären. Weder in dem Geschäftsführer der VhU, einem Juristen, noch in Sandro Witt, der ausgebildeter Bürokaufmann ist, kann ich einen ausgewiesenen Fachmann für berufliche Bildung erkennen.

Fachleute für die diskriminierten Bildungsgänge sind aus meiner Sicht vor allem die Lehrkräfte, die hier unterrichten. Sie wissen, dass sie Schülerinnen und Schülern, die aus unterschiedlichen Gründen keine gradlinigen Bildungskarrieren hinter sich haben, neue Chancen eröffnen. Obige Schulformen - die nicht zum Übergangssystem gehören - nutzen vor allem junge Menschen, die in ihrer schulischen Laufbahn in eine weniger qualifizierte Richtung gegangen sind und nun den Anschluss suchen für ein Studium oder eine Ausbildung, die sie ohne einen derartigen Abschluss gar nicht bekommen.

Das in dem Artikel gescholtene Übergangssystem bietet - mit unterschiedlichen Schulformen - beispielsweise Angebote für Seiteneinsteiger in unser Bildungssystem, oft mit sprachlichen Defiziten, aber auch Menschen mit gesundheitlichen und psychischen Problemen. Sie haben meist noch keine abschließenden beruflichen Ziele entwickeln können; ihr bisheriges Leben war von anderen Problemen geprägt. Sie erhalten die Chance zu reifen, versäumte Abschlüsse nachzuholen und Berufswünsche zu erproben - und zwar vor einer voreiligen Festlegung, die zum Abbruch führen kann.

Viele der hier unterrichtenden Fachleute sind in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft organisiert. Die GEW plädiert keineswegs dafür, die genannten Bildungsgänge abzuschaffen; im Gegenteil, sie ist stets für Bildungsgänge eingetreten, die denen Chancen eröffnen, die vom Angebot der allgemeinbildenden Schulen nicht ausreichend profitieren konnten. Die pauschale Behauptung, "die Gewerkschaften" wollten obige Bildungsgänge abschaffen, ist schlichtweg falsch.

Was den stellvertretenden Vorsitzenden des DGB Hessen-Thüringen dazu bewegt, eher den Schulterschluss mit neoliberal ausgerichteten Lobbyisten zu suchen, als sich mit den im beruflichen Bereich tätigen Lehrkräften zu verbinden, ist mir rätselhaft. Dass er die harte Arbeit der mit großem Engagement aktiven Kolleginnen und Kollegen öffentlich als "Quatsch" abtut (wenn dieses Zitat denn so stimmt), treibt mir als Gewerkschaftsfunktionär die Schamröte ins Gesicht. Ich hoffe sehr, dass es kurzfristig gelingt, hier aufklärende Gespräche zu führen, die sich ebenfalls in der Presse niederschlagen.

Den betroffenen Schüler/-innen und Lehrkräften, deren entgeisterte Reaktionen bereits bei uns ankamen, sei jedenfalls versichert: Wir sind keineswegs für die Abschaffung der langjährig erprobten und für viele junge Menschen sehr wichtigen Bildungsgänge."

Michael Köditz, Vorsitzender der GEW Offenbach-Stadt (im Team) und Schulpersonalrat an einer beruflichen Schule