Personalversammlung der Schule am Goldberg

Zur Kooperationsvereinbarung über die Modellregion Inklusive Bildung im Kreis Offenbach

Wir, das Kollegium der Schule am Goldberg, Schule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung in Heusenstamm, haben uns mit dem Thema Inklusion und der Kooperationsvereinbarung kritisch auseinander gesetzt. In einer Personalversammlung verabschiedeten wir als Ergebnis folgende Stellungnahme:
 Die Kooperationsvereinbarung beginnt mit dem Satz: „Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf Bildung.“

Dieses Recht auf Bildung wollen wir als Förderschullehrer für unsere Schüler (Schwerpunkt geistige Entwicklung) auch in der Inklusion sicher stellen. Bisher gelingt uns dies an der Förderschule, weil:

Wir individuelle Förderpläne und Lernziele haben Die Sozial-Emotionale Entwicklung und lebenspraktischen Fertigkeiten haben den gleichen Stellenwert wie kognitive Fähigkeiten Es wird in Kleingruppen gearbeitet Die Schule verfügt über spezielle Fachräume (Therapiebecken, Wahrnehmungsraum) Therapieangebote (Logopä ie, Physiotherapie und Ergotherapie) werden von ausgebildeten Fachkräften während der Schulzeit angeboten.
Dies ermöglicht eine individuelle Förderung, die auf die Schüler abgestimmt ist. Damit sehen wir das Recht auf Bildung in spezialisierten Förderschulen eher verwirklicht, als in der momentanen Inklusionssituation.
An Regelschulen

Liegt der Schwerpunkt auf der kognitiven Entwicklung und der Vermittlung von fachlichen Lerninhalten, die am Lehrplan orientiert sind. Der Lehrplan ist zu stofflastig, als dass die Pädagogik den geistigen Behinderten gerecht werden könnte Sind die Lerngruppen deutlich größer als an Förderschulen Es fehlt an speziellen Fachräumen (Rückzugsmöglichkeiten, Wickelraum, Therapieräume) Weiter ist in der Vereinbarung zu lesen:

„Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten das Land und der Kreis Offenbach ein inklusives Bildungssystem mit den Zielen, die menschlichen Möglichkeiten sowie das Bewusstsein der Würde und das Selbstwertgefühl des Menschen voll zur Entfaltung zu bringen.“  Hier stellt sich uns die Frage, ob dies wirklich für alle umzusetzen ist und nicht doch der Chancengleichheit eher widerspricht. Es bedarf besonderer Strukturen, wenn ein Aufbau eines intakten Selbstwertgefühls möglich gemacht werden soll, wenn man im schulischen Leistungsvergleich immer schlechter abschneidet als seine Mitschüler.

Wir geben zu bedenken, dass bisher die Bedingungen für eine funktionierende Inklusion noch nicht ausreichend geschaffen wurden. Die Inklusion ist auf der Grundlage der Chancengleichheit nur mit offenen und individuellen Lernstrukturen möglich. Viele Grundschulen unterrichten nach diesen Prinzipien, aber nach wie vor nicht alle. Die wenigsten weiterführenden Schulen arbeiten mit individuellen Angeboten. Kleine Klassen, Rückzugsmöglichkeiten, spezielles Material und sonderpädagogische Betreuung jeden Tag sind für eine angemessene Förderung notwendig. Darauf sind die Regelschulen und die Lehrkräfte nicht vorbereitet worden. Zudem müsste der Bildungsbegriff erweitert werden da, die lebenspraktischen Fähigkeiten für unsere Schulform einen ebenso hohen Stellenwert haben wie die kognitiven Fähigkeiten.  

Auch sind qualifizierte Integrationshelfer eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen der Inklusion.
Nicht zu vergessen ist, dass es immer Schüler geben wird, deren Wohlergehen nicht in der Inklusion gewährleistet werden kann, selbst wenn die personellen- und räumlichen Bedingungen gegeben sind. Bereits jetzt haben wir Schüler, die als Quereinsteiger zu uns aus der Inklusion gekommen sind. Auch darauf muss sich unsere Schulform verstärkt einstellen.

Zudem hat sich unsere Schülerschaft im Laufe der Jahre zunehmend verändert. Der Pflege-und Betreuungsaufwand sind gestiegen. Um dem Bildungsauftrag weiterhin adäquat gerecht werden zu können, ist ein höherer personeller Betreuungsschlüssel notwendig.  Ansonsten wird es zunehmend schwieriger, die für unsere Schüler so wichtigen lebenspraktischen Fähigkeiten zu vermitteln, da diese meist nur mit individueller Betreuung möglich ist. Darunter fallen u.a. Toilettentraining, selbstständiges Essen und Trinken sowie eigenständiges An- und Auskleiden. Klassenfahrten, Praktika und Ausflüge gehören zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben dazu, werden aber aufgrund des immer größer werdenden Betreuungsaufwandes immer schwieriger durchzuführen.

Für eine adäquate  Umsetzung der Inklusiven Bildung bleiben weiterhin folgende Fragen offen:

Wie sieht echte Chancengleichheit in der Praxis aus, besonders im Anschluss an die Schullaufbahn? Lebensplanung: Übergang auf weiterführende Schule, Bewerbung, Integration auf dem 1. Arbeitsmarkt, Wohnen) Wie setzt sich die Berechnung des Personalschlüssels zusammen an den Förderschulen und in der Inklusion? Wird dabei Rücksicht auf die jeweilige Schülerschaft der einzelnen Förderschule genommen? Finden in der Berechnung Veränderungen der aktuellen Schülerschaft Berücksichtigung? Was passiert langfristig mit den Förderschulen? Könnten auch nicht behinderte Kinder an einer Förderschule inkludiert werden und angelehnt an den Grundschullehrplan unterrichtet werden? Wie werden Schüler, deren inklusive Beschulung ihnen kein geeignetes Lernumfeld zur Verfügung stellen konnte und die negative Erfahrungen, ein äußerst instabiles Selbstwertgefühl und viele weitere persönliche Probleme mit in die Förderschule bringen, bei der Berechnung des Personalschlüssels berücksichtigt? Wie wird der Bildungsanspruch von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in einer Förderschule gesichert? Wie soll die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben im Schulalltag gewährleistet werden? Was ist das Ziel für die umfassend behinderten Schüler_innen? Werden sie berücksichtigt?

Kerstin Heil, Personalratsvorsitzende der Schule am Goldberg