Rückblick
Vor einem Vierteljahrhundert hieß es noch unter der damaligen CDU-Regierung mit Christean Wagner als Kultusminister, „Gemeinsamer Unterricht“ von behinderten und nicht behinderten Kindern ginge nicht.
Mit der Abwahl dieser Regierung 1989 wurde unter Rot-Grün der „Gemeinsame Unterricht“ (GU) eingeführt.
Noch 2010 versprach Kultusministerin Henzler, FDP: „Ein hochwertiger GU wird unter Beachtung der dafür zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel schrittweise zum Regelfall.“ Hessische Schulen sollten im GU ein Förderkontingent von 5 bis 10 Förderschullehrerstunden pro Schüler und Woche erhalten. (vgl. J. Batton)
Inklusive Bildung (IB)– positiv verstanden - will das bisherige pädagogische Konzept der Integrationspädagogik ablösen und jeder Schülerin und jedem Schüler ein ihrer/seiner individuellen Lage entsprechendes optimales Maß an individueller Entwicklung und gesellschaftlicher Teilhabe, ungeachtet der persönlichen Unterstützungsbedürfnisse, ermöglichen.
Über einen uneingeschränkten Zugang zu Kitas und Schulen des sozialen Umfelds, über individuelle Förderpläne und stark differenzierten Unterricht soll dies schrittweise umgesetzt werden.
Bereits 2008 wurde im Landkreis Offenbach der Schulversuch „Begabungsgerechte Schule“ gestartet, der erste brauchbare Ansätze inklusiver Bildung enthält:
Es gibt noch andere ausbaufähige Ansätze, an denen IB anknüpfen könnte, aber was macht die Landesregierung daraus?
Wohin führt der sukzessiv betriebene Abbau der Unterstützung „inklusiven Unterrichts“?
Viele davon betroffene Lehrkräfte sind total überfordert. Resignation und Erschöpfung breiten sich aus. Auch auf Schülerseite sind Verunsicherung und Überforderung nicht zu vermeiden, denn außer den Kindern mit festgestelltem Förderbedarf finden sich in den Klassen auch viele andere SchülerInnen mit Verhaltensauffälligkeiten, Lernschwierigkeiten oder zu geringen Deutsch-Kenntnissen, die die Aufmerksamkeit der Lehrkräfte einfordern, aber nicht unter die inklusive Förderung fallen. Je größer die Klassen, desto schwieriger wird es, den Kindern gerecht zu werden, weil man weniger Zeit für jedes Kind hat.
Eine unbefriedigende Umsetzung inklusiver Maßnahmen führt auch zu Resignation bei betroffenen Eltern und zu einer steigenden Zahl von Anmeldungen an Förderschulen, die unter den problematischen Bedingungen an Regelschulen für ihr Kind als förderlicher angesehen werden.
Wenn die Fortführung der „IB“ in der Sekundarstufe I vor allem auf Hauptschul- und IGS-Klassen beschränkt ist und Gymnasialklassen außen vor bleiben, geht die Inklusion behinderter Kinder zu Lasten jener SchülerInnen, die selbst von sozialer Exklusion bedroht sind.
Den erheblich gewachsenen Anforderungen an die Lehrkräfte im „Inklusiven Unterricht“ stehen, auch als Folge von Finanzkrise und Schuldenbremse, immer weniger finanzielle Mittel gegenüber.
Eine solche Einführung von „Inklusion“ zeigt, dass es eher um ein kostengünstiges Einsparmodell und eine Imagesicherung für die Regierung als um bessere Lernbedingungen für alle Kinder geht
(vgl. U. Nienhaus-Böhm).
Wenn wir weitere Verschlechterungen hinnehmen, dann werden bislang relativ erfolgreich arbeitende integrative Schulen und das Engagement ihrer Lehrkräfte, die unter extremer Belastung stehen, als Feigenblatt missbraucht, um anderen Schulen „zu beweisen“, dass Inklusion auch unter unzureichenden finanziellen und pädagogischen Bedingungen möglich ist.
Da machen wir nicht mehr mit!
Was brauchen wir wirklich?
Was wir brauchen, ist nicht ein Pseudo-“Schulfrieden“, sondern
eine systemische sonderpädagogische Grundzuweisung an den allgemeinen Schulen ohne Etikettierung besonders förderungsbedürftiger Kinder, die über die Regelungen des GU hinausgeht, d.h.
„ein zeitliches und inhaltliches Konzept zur Überführung des gespaltenen viergliedrigen in ein inklusives Schulsystem“, in dem
eine offene Inklusionsdebatte, in der auch gefragt wird, was schulische Inklusion in einer Gesellschaft bedeutet, die immer stärker ausgrenzt und es zulässt, dass immer mehr Menschen von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind:
Ohne diese Analyse arbeiten wir denen in die Hände, die es strukturell verunmöglichen, in unserer Gesellschaft „ohne Angst verschieden zu sein“ (Adorno). Inklusion kann so nichts werden und endet spätestens in der Sekundarstufe I!
Quellen:
1 Uschi Nienhaus-Böhm: Inklusion - Das gebrochene Versprechen
In: Blätter für deutsche und internationale Politik Heft 8/2013
2 Johannes Batton: Schöne neue Inklusionswelt - In: Magazin „Auswege“ 1.5.2014
3 Prof. Karl-Heinz Dammer: Inklusion und Integration – zum Verständnis zweier pädagogischer
Zeitformeln - In: Behindertenpädagogik Heft 4/2012 S. 352 – 380