Gesamtpersonalrat: Kultusminister ignoriert Hilferufe aus Schulen – neue Welle an Überlastungsanzeigen erwartet

Das Hessische Kultusministerium zeigt keine Reaktion auf die Forderung des Gesamtpersonalrats der Lehrerinnen und Lehrer Offenbach, auf die vielen Überlastungsanzeigen inhaltlich einzugehen. Viele Kollegien aller Schulformen planen, erneut eine Überlastungsanzeige zu stellen.
Die Rückmeldungen, die der Gesamtpersonalrat und die in ihm vertretenen Gewerkschaften aus den Schulen erhalten, lassen nur einen Schluss zu: die Arbeitsbedingungen an hessischen Schulen sind nicht gut. Die im Bundesvergleich sehr hohe Pflichtstundenzahl und große Klassen, die eine auf die Lernenden zugeschnittene Differenzierung erschweren, sind keine neuen Phänomene. Die Aufgabenfelder, die von den Lehrkräften an hessischen Schulen zusätzlich abgedeckt werden sollen, sind jedoch so stark angewachsen, dass sich seit mittlerweile fünf Jahren immer mehr Kollegien in Hessen an ihren Dienstherrn wenden und auf die Unzumutbarkeit der Bedingungen, unter denen sie arbeiten, hinweisen.
Um auf diese Missstände hinzuweisen und um Abhilfe zu bitten, haben viele Kollegien kollektive Überlastungsanzeigen gestellt. Adressiert sind sie sie an den Kultusminister als obersten Dienstherrn. Dieser hatte jedoch von Beginn an die Staatlichen Schulämter verpflichtet, sich mit den Anzeigen auseinanderzusetzen und sich selbst aus der Verantwortung genommen.
Doch die meisten Probleme, die in der Lehrerschaft zu Überlastung, Krankheit und Burnout führen, lassen sich auf der Ebene der Schulämter nicht beheben. Sie sind Angelegenheit der Schulpolitik und nur über das Kultusministerium zu ändern. Die dringendsten Anliegen sind hier eine spürbare Verringerung der Arbeitszeit und eine höhere Lehrerversorgung sowie Entlastungsstunden für die zusätzlichen Arbeitsbereiche.
Da bis jetzt eine Reaktion von Seiten des Kultusministeriums auf die Hilferufe der Lehrkräfte ausblieb, haben sich die betroffenen Kollegien hilfesuchend an den Gesamtpersonalrat am Schulamt Offenbach gewandt. Dieser schickte im Dezember 2017 sämtliche ihm vorliegende Überlastungsanzeigen noch einmal im Paket an das Kultusministerium und forderte es auf, sich endlich mit den Nöten der Lehrerinnen und Lehrern auseinanderzusetzen und für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen.
Doch bis heute hat der Minister auf dieses Schreiben nicht geantwortet, was in der Lehrerschaft auf Befremden und Unverständnis stößt. Viele Schulen haben mittlerweile erklärt, eine zweite oder dritte Überlastungsanzeige zu stellen, in der Hoffnung, dass das Kultusministerium endlich ernsthaftes Interesse daran zeigt, die Behebung dieser Missstände anzugehen und Maßnahmen zur Verbesserung zu ergreifen.
Der Gesamtpersonalrat macht sich große Sorgen um die kurz-, mittel-, und langfristigen gesundheitlichen Folgen der von ihm vertretenen Lehrerinnen und Lehrer. Überlastungsanzeigen sind ein verzweifelter Hilferuf. Dass auch zweite und dritte Anzeigen keine Reaktion des HKM auslösen, ist für den Gesamtpersonalrat nicht mehr nachvollziehbar. Er fordert Herrn Kultusminister Prof. Dr. Lorz auf, die Sorgen der Lehrerinnen und Lehrer um ihre Gesundheit und die gute Bildung der Schülerinnen und Schüler ebenso ernst zu nehmen wie seine Fürsorgepflicht als oberster Dienstherr aller hessischen Lehrkräfte.

Hintergrundinformationen: Arbeitsbelastungsfaktoren an hessischen Schulen
Zum einen steigt der Anspruch an den Unterricht, der erteilt werden soll. Lehrkräfte sollen einen ansprechenden, modernen und effektiven Unterricht machen, in dem nicht nur auf neueste Entwicklungen in fachlicher Hinsicht eingegangen wird. Der Unterricht soll auf dem neuesten Stand der didaktischen Forschung sein, verschiedene Fächer verbinden und Schülerinnen und Schüler möglichst spielend an neue Medien heranführen. Neben einer sehr intensiven Unterrichtsvorbereitung, die außerdem die steigende Heterogenität in den Klassenzimmern zu berücksichtigen hat, erfordert dies eine ständige Fortbildungsbereitschaft außerhalb der Unterrichtszeit.
Der Umfang der Tätigkeiten außerhalb des eigentlichen Unterrichts ist stark gestiegen. So sollen Schulen autonomer werden und Profile ausbilden, mit denen sie sich von den Schulen im Umkreis abheben können. Das hat zur Folge, dass Lehrkräfte intensiv an Schulprogrammen und Konzepten zu Förderungen in so unterschiedlichen Bereichen wie der Förderung von Hochbegabten, musikalisch, mathematisch-technisch oder sportlich Interessierten arbeiten.
Auch sollen sie die zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer betreuen und mit ausbilden, sei es als Studierende im Praxissemester oder später im Referendariat, ohne dass man ihnen Zeit zum Koordinieren oder gemeinsamen Unterricht einräumt.
Autonomie und Wettbewerb von Schulen, aber auch der Wettbewerb der Bildungssysteme innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik verlangt eine gewisse Vergleichbarkeit der Lernleistungen. Dies hat zur Folge, dass neben einheitlichen Abschlussprüfungen die Zahl der zusätzlichen Vergleichstests stark zugenommen hat. Das hieraus resultierende „Teaching to the test“ steht jedoch im Widerspruch zu den Anforderungen an modernen Unterricht. Neben dem zeitlichen Aufwand für Durchführung und Auswertung solcher Tests beeinträchtigt dieser Zielkonflikt, der von den Lehrkräften nicht gelöst werden kann, die Arbeitszufriedenheit und stellt so einen weiteren Belastungsfaktor dar.
Die Umsetzung des Menschenrechts auf gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderung im Rahmen der Inklusion ist eine Aufgabe, deren Umsetzung viele Jahre in Anspruch nehmen wird und neben erheblichen personellen Ressourcen auch einer gewissenhaften Planung und Steuerung bedarf. In den Schulen fühlt man sich in beiden Punkten im Stich gelassen.
Auch die Beschulung von aus dem Ausland zugewanderten Schulkindern ohne ausreichende Sprachkenntnisse und Geflüchteten, zum Teil traumatisierten Schülerinnen und Schülern, deren schulische Laufbahn in vielen Fällen schwerwiegenden Brüchen unterzogen war, benötigt neben ausgebildeten Fachkräften vor allem Einfühlungsvermögen und Zeit. Die rigiden Vorgaben des HKM, auch noch nicht alphabetisierte Schülerinnen und Schüler mit nur geringer Sprachkenntnis innerhalb von höchstens zwei Jahren zu einer Regelbeschulbarkeit zu bringen, setzt auch die motivierteste Lehrkraft unter enormen Druck und sorgt ob der unrealistischen Zielvorgabe für Frustration, da man hier seiner Aufgabe nicht gerecht werden kann.
Mit der Ganztagsbeschulung geht eine große Umwälzung für die Schulen einher. Sie bedeutet einen Zuwachs an erzieherischen Aufgaben, erfordert eine aufwändige Konzepterstellung und bindet in ihrer Durchführung zusätzliche Zeit.
Zusätzlich sollen Schulen im Bereich Extremismus, Gewalt und Drogenmissbrauch wertvolle Präventionsarbeit leisten und auch Ansprechpartner sein in Lebenskrisen oder in sehr heiklen Fällen von z.B. sexuellem Missbrauch.
Diese Verdichtung der Arbeitsintensität hat mehrere direkte Folgen für die Lehrenden. Viele Lehrkräfte arbeiten in Teilzeit, weil sie den Arbeitsumfang einer vollen Stelle nicht mit ihren familiären Verpflichtungen in Einklang bringen können. Erholungspausen werden zugunsten von Kurzmeetings geopfert, der Krankenstand und damit die Notwenigkeit, dass gesunde Kolleginnen und Kollegen Mehrarbeit leisten, um Vertretungsunterricht zu erteilen, steigt. Ob des drohenden Unterrichtsausfalls scheint die Zahl der Lehrkräfte, die krank zur Arbeit erscheinen, zuzunehmen. Aufgrund fehlender Zeit für Absprachen innerhalb der Schule greifen viele Kolleginnen und Kollegen auf moderne Kommunikationsplattformen zurück, durch die ständige Erreichbarkeit kommt es zu einer Entgrenzung von Arbeitszeit, auch hier zu Lasten der Regeneration.
Schließlich wirkt sich auch der Lehrkräftemangel in einigen Schulformen auf die Arbeitsintensität aus. Gerade an Grundschulen fehlen ausgebildete Lehrkräfte, was zur Folge hat, dass an vielen Schulen Lehrerinnen und Lehrer oft zwei Klassen leiten und Vertretungskräfte ohne Lehramt anleiten und unterstützen müssen.
Dass die Arbeitsverdichtung auch den Bereich Schulleitung betrifft, führt dazu, dass es gerade im vergleichsweise schlecht bezahlten Bereich der Grundschulen sehr schwer geworden ist, Schulleitungsstellen zu besetzen. Erschwerend kommt hinzu, dass immer mehr Schulleitungsmitglieder aufgrund der stetig steigenden Arbeitsbelastung ihr Leitungsamt wieder abgeben. Die anfallenden Aufgaben werden in diesen Fällen von Teilen des Kollegiums unentgeltlich mitgetragen.