Gegen das Praxissemester

Resolution der GEW-Vertrauensleuteversammlung des KV OF-Land

Ab dem Wintersemester 2015 wird in Hessen das so genannte Praxissemester als Erprobungsphase eingeführt. Für Studierende des Lehramts an Gymnasien wurde der Goethe-Universität Frankfurt die Erprobung zugeteilt, für Studierende des Lehramts an Grund-, Haupt- und Realschulen ist die Universität Kassel für die Erprobung zuständig, für Studierende des Lehramts an Förderschulen die Justus-Liebig-Universität Gießen.

Trotz massiver Kritik vieler an der hessischen Lehrerausbildung beteiligter Institutionen und Experten und einer Ablehnung von 95 Prozent der in der Anhörung zur entsprechenden Änderung des Lehrerbildungsgesetzes Beteiligten wurde das Praxissemester in der vorliegenden Form zur Erprobung beschlossen.

Die Kritik richtete und richtet sich gegen das Konzept, die Zielsetzung, die frühe Phase im Studium, in der es zu absolvieren ist, die Rahmenbedingungen für die Schulen und Lehrkräfte und vieles mehr.

Obwohl an der Lehrerausbildung der hessischen Universitäten beteiligte Gremien und Personen ebenfalls immer wieder auf die Problematik des Praxissemesters hingewiesen haben, müssen die beteiligten Unis dies jetzt umsetzen und sind auf der Suche nach Praxisplätzen an den Schulen und nach Betreuerinnen und Betreuern.

Nach den Sommerferien kommen daher die ersten Studierenden der Goethe-Universität Frankfurt, die ein Praxissemester absolvieren müssen, an die Gymnasien und andere Schulen mit gymnasialen Ausbildungsgängen in Frankfurt und der näheren Umgebung.

Damit kommen neue dauerhafte Aufgaben auf die Schulen, Schulleitungen und Lehrkräfte zu, ohne dass die Schulen in die Konzeption des Praxissemesters eingebunden wurden.

Die Praktikantinnen und Praktikanten werden nach Beendigung des 2. Semesters, also in einem äußerst frühen Stadium ihres Studiums, an den Schulen auch das Unterrichten erproben. Zu diesem Zeitpunkt haben sie weder hinreichend fachliche und fachdidaktische Kompetenz noch professionelle Reflexionsfähigkeit ausgebildet, um den Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden. Diese werden zu Versuchsobjekten bildungspolitisch unausgegorener Maßnahmen.

 Infolgedessen wird es noch stärker als bislang auf die Mentorinnen und Mentoren an den Schulen ankommen. Schon jetzt bilden Mentorinnen und Mentoren ohne Entlastung Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst aus. Demnächst sollen sie zusätzlich noch Studierende über einen längeren Zeitraum hinweg vier Tage in der Woche betreuen, wobei jeder Studierende von zwei Fachkräften zu betreuen ist.

 Auf der anderen Seite stehen die Studierenden nach den Regelungen der Goethe-Universität im Praxissemester sehr unter Druck. Ihre von den Lehrkräften zu protokollierende Anwesenheitspflicht umfasst wöchentlich 36 Stunden, das sind pro Schultag 9 Stunden, die auch Abendveranstaltungen mit einschließen. Ihre Tätigkeiten in dieser Zeit fließen in einen Praktikumsbericht ein, der neben der Beurteilung durch die Schulleiterin bzw. den Schulleiter entscheidender Bestandteil für den Erfolg des Praxissemesters ist. Eine Fehlzeitquote von 20% führt bereits zum Nichtbestehen dieses Semesters.

Neben den 20 Stunden für Unterrichtsbesuche bleiben noch 16 Stunden pro Woche für außerunterrichtliche Tätigkeiten. Hier könnte bei ungenauer Festlegung der Einsatzbereiche die Gefahr bestehen, dass sie zu billigen Hilfskräften missbraucht werden.

 Nach § 19 HLbGDV sollen Betreuerinnen und Betreuer der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Praxissemesters in der Schule die Studierenden bei der Vorbereitung und Durchführung von Unterrichtsversuchen anleiten und die Studierenden systematisch zu ihrem Lernfortschritt. beraten. Diese Unterstützung didaktisch und fachwissenschaftlich unerfahrener Studentinnen und Studenten erfordert, wenn sie sinnvoll für die Studierenden sein soll, einen besonders hohen Zeitaufwand.

Zudem soll pro Schule nur ein Schulbetreuer/eine Schulbetreuerin für Koordination und Evaluation zuständig sein und in den 15 Wochen 3mal einen 6seitigen Evaluationsbogen ausfüllen Hierfür erhält er/sie eine Vergütung von 80 Euro monatlich. Die Lehrkräfte, die die Studierenden betreuen, erhalten nichts. Lapidare Begründung: Nach geltender Dienstordnung sind Lehrkräfte zur Betreuung von Schulpraktikanten verpflichtet.

 All dies ist neben dem normalen Schulalltag nicht ohne adäquate zeitliche Entlastung zu leisten. Angesichts der Tatsache, dass für die Lehrkräfte an den Schulen die Umsetzung der 40 - Std.- Woche immer noch aussteht, können die Lehrkräfte eine weitere aufwändige Mehrarbeit ohne Entlastung durch eine angemessene Reduzierung der wöchentlichen Pflichtstundenzahl nicht hinnehmen und angesichts der beschriebenen Herausforderungen auch nicht bewältigen.

Aus den genannten Gründen werden wir uns nicht freiwillig an der Erprobung des Praxissemesters beteiligen und fordern die Rücknahme des Praxissemesters bzw. die Beendigung der Erprobung!