Freie Turnerschaft Offenbach

Die fast vergessene Geschichte

Vortrag von Irmgard Baumann

Am 12.1.2017 fand sich eine aus verschiedenen Gewerkschaften und anderen Gruppierungen gemischte Gruppe von Senioren im Crönlein-Zimmer der  AWO im Hainbachtal ein, um Irmgard Baumann zuzuhören, die viele Jahre Lehrerin in Offenbach war und immer noch GEW-Mitglied ist. Ihr Vater war aktives Mitglied und Vorturner bei der Freien Turnerschaft Offenbach (FTO)  und hatte etliche Dokumente und Fotos aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Keller versteckt, als die FTO während der Nazizeit verboten war. Davon hatte Kollegin Baumann viele eingescannt, um sie über einen Beamer dem Publikum zu zeigen. Viele Dokumente waren im Original zu sehen und anzufassen.

Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Offenbach zwei große Turnvereine: Den TVO, der ein bürgerlicher Verein war, und die TGO (Turngesellschaft Offenbach), in der auch ein Arbeiter Mitglied werden konnte, wenn ein Mitglied für ihn bürgte. Viele Arbeiter wollten das. Die TGO öffnete sich bewusst der Offenbacher Arbeiterschaft. Aber beim Festzug zur Einweihung der neuen Turnhalle der TGO wurde von der übergeordneten „Deutschen Turnerschaft“ den Arbeitern verboten mit zu marschieren. Erst da fassten sie 1895 den Entschluss, einen eigenen Arbeiter-Turnverein zu gründen, die Freie Turnerschaft Offenbach. Der Arbeiter-Turn-und-Sport-Bund (ATUS) war auf Reichsebene schon 1893 gegründet worden. Nach anfangs wechselnden Übungsräumen fand die FTO im Jahr 1900 eine angemessene Trainingsstätte im Saalbau des Gewerkschaftshauses in der Austraße 9, der von allen Arbeitervereinen für Versammlungen und Veranstaltungen gebaut worden war. Ein wichtiges Ziel der FTO war, den Gemeinschaftssinn zu stärken, z.B. in größeren Akrobatik-Gruppen, in der sich jeder auf den anderen verlassen können musste. Ab 1906 wurden auch Kinder und Jugendliche in die FTO aufgenommen, dann auch Frauen. Mit den sportlichen und kulturellen Angeboten wurde in den Städten in großem Maße die Bildung eines „Lumpenproletariats“ verhindert, den jungen Leuten ein gewisses Selbstbewusstsein vermittelt, und ihnen Anregungen zur Weiterbildung und Lebensführung gegeben.

1911 kam der Arbeiter-Radfahrverein Solidarität aus Chemnitz nach Offenbach und baute in der genossenschaftlichen Fabrik Frischauf in der Sprendlinger Landstraße Fahrräder und Nähmaschinen. Nachdem die FTO 1913 sehr erfolgreich ein Gauturnfest auf den Mainwiesen zwischen Offenbach und Bürgel organisiert hatte, stellte ihr die Stadt Offenbach ein Gelände auf der Rosenhöhe in Erbpacht zur Verfügung, wo die Mitglieder Sportplätze und ein Vereinsheim bauten. Zur Betreuung der Turnfeste war auch die Zusammenarbeit mit dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) wichtig. Mit dem übergeordneten Ziel von gemeinschaftsbildenden Aktivitäten wurden 1919 eine Fußball- und eine Handballabteilung eingerichtet, 1923 ein Arbeiter-Wassersportverein gegründet, ab 1927 konnte man in der FTO Tennis spielen. Bei Turnfesten (z.B. 1922 beim „Ersten Deutschen Arbeiter Turn und Sportfest“ in Leipzig oder 1925 beim Arbeiter – Olympia zur Einweihung des Frankfurter Waldstadions oder 1931 bei der 2. Internationalen Olympiade des ATUS in Wien) hatten die Aktiven der FTO viele Kontakte im ganzen Deutschen Reich und dem nahen Ausland. Sie hatten dadurch die Hoffnung, dass der Frieden anhalten würde. ( Im 1. Weltkrieg hatte die FTO 58 Mitglieder verloren.) Diese Hoffnung zerbrach 1933. Das Gewerkschaftshaus Saalbau wurde abgerissen, weil es angeblich baufällig war, die Fa. Frischauf entschädigungslos enteignet, die FTO verboten und das Vereinsheim zerstört. Im 2. Weltkrieg wurde auf den Sportplätzen der Rosenhöhe eine Flak-Stellung aufgebaut. Dieses Gelände wies 1945 der amerikanische Militärgouverneur den Sportvereinen zu, in der Hoffnung ein großes Sportstadion für alle Vereine entstehen zu lassen, die sich dann Sportgemeinschaft Rosenhöhe (SGR) sollten. Als es aber an die Arbeit ging, die Plätze wieder herzurichten, verschwanden der TVO und die TGO an ihre angestammten Plätze und Turnhallen in der Stadt  und nur die Mitglieder der früheren FTO packten an. Die Amerikaner verweigerten allerdings dem verbleibenden Verein, wieder den Namen FTO zu tragen. Es blieb bei SGR.  Sportplätze und ein neues Vereinsheim (heutige Gaststätte  SGR) wurden gebaut. Der Verein vertritt heute noch ansatzweise die Grundsätze der Freien Turner und zeichnet sich durch gute und erfolgreiche Jugendarbeit aus.