Disziplinarverfahren als Weihnachtsgeschenk?

356 Lehrerinnen und Lehrer in Stadt und Kreis Offenbach

Für 356 Lehrerinnen und Lehrer in Stadt und Kreis Offenbach, die am 16. Juni 2015 - zusammen mit über 5000 anderen hessischen Lehrkräften - als Beamtinnen und Beamte für eine längst überfällige Arbeitszeitverkürzung und gegen ein 18-monatiges besoldungsmäßiges Nullrundendiktat gestreikt haben, steht Ärger ins Haus.

Gegen sie wurden vor den Weihnachtsferien seitens des Staatlichen Schulamts Offenbach Disziplinarverfahren eingeleitet und ihnen drohen Verweise, die erst nach 2 Jahren aus der Personalakte entfernt werden dürfen. Lehrern mit Funktionsstellen und Mitgliedern der Schulleitung drohen zudem Geldstrafen.

Der Kreisvorstand des GEW- Kreisverbands Offenbach-Land verurteilt diesen Versuch der Landesregierung, den Streik der Beschäftigten gegen faktische Lohnkürzungen, Sozialabbau und Abwertung des Lehrerberufs mit Disziplinarmaßnahmen sanktionieren zu wollen - im einzigen Bundesland, in dem die Übertragung des Tarifergebnisses auf die Beamten strikt verweigert wird.

Damit verstößt die hessische Landesregierung gegen § 16 des Hessischen Besoldungsgesetzes, wonach die Besoldung „entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse regelmäßig angepasst“ werden soll.

In den vergangenen Jahrzehnten ist es immer wieder zu Warnstreiks von Lehrkräften gekommen, zuletzt 2009. Wenn überhaupt, ist aber von der jeweiligen Landesregierung in der Regel nur mit einer „Missbilligung“ geantwortet worden. Mit dem Griff in das schärfere Disziplinarrecht unter Schwarz-Grün sollen die verbeamteten Lehrerinnen und Lehrer nun offensichtlich abgestraft und davon abgehalten werden, auch in Zukunft ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen.

Zu den höchstmöglichen Sanktionsmaßnahmen zu greifen, ist auch deshalb unverhältnismäßig, weil das - auch in den Medien - immer wieder beschworene Streikverbot für Beamte durch mehrere Urteile des Bundesverwaltungsgerichts aus den letzten Jahren für Lehrkräfte als nicht hoheitlich tätige Beamte in Frage gestellt ist. Das Bundesverwaltungsgericht bezieht sich im Urteil von 27. Februar 2014 auf die Europäische Menschenrechtskonvention als vorrangiges Recht, in der das Streikrecht als Menschenrecht verankert ist und auch bei Beamten nur wenige Ausnahmen zulässt. Auch nach Artikel 25 GG gilt Völkerrecht unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebiets und damit auch für die Beamten.

Gleichwohl versuchen die Staatlichen Schulämter bei den Einleitungen der Disziplinarverfahren – wie vom Hess. Kultusministerium vorgegeben – das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2014 für ihren Standpunkt zu nutzen und zitieren die Verpflichtung des Gesetzgebers, die „Kollision“ des deutschen Beamtenrechts mit der Europäischen Menschenrechtskonvention „aufzulösen“. Da dies jedoch noch nicht erfolgt sei, sei das „beamtenrechtliche Streikverbot nach wie vor geltendes Recht“.

Der entscheidende Folgesatz des Urteils wird aber unterschlagen: „Solange diese Kollision nicht aufgelöst ist, muss der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Beamtenbesoldung die Tarifabschüsse für den öffentlichen Dienst ‚in den Blick nehmen‘.“

Viele der am Streik beteiligten Kolleginnen und Kollegen aus Stadt und Kreis Offenbach nehmen seit Ende November 2015 ihr Recht auf mündliche Anhörung wahr und wollen damit der Behörde ihre guten Gründe für die Beteiligung an dem eintägigen Warnstreik darlegen. Die Folge werden hessenweit hunderte von Anhörungen sein, durch die die Staatlichen Schulämter zum Werkzeug für eine ignorante Beamtenpolitik werden. Die Verfahren werden Geld kosten (für zusätzliches juristisches Personal, Fahrtkosten etc.), welches für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Schulen fehlt, ganz zu schweigen davon, dass durch diese Verfahren auch Unterrichtsausfall in Kauf genommen wird. Dass im Schulamtsbereich Offenbach auch in den Weihnachtsferien zu Anhörungsterminen geladen wird, ist für die davon Betroffenen sicher ein gelungenes Weihnachtsgeschenk für die anstrengende Arbeit des vergangenen Jahres!

Wir fordern deshalb die schwarz-grüne Landesregierung auf, diese Disziplinarverfahren sofort zu stoppen und bereits eingeleitete Verfahren nicht weiter zu führen.

Wir bleiben dran und werden auch weiterhin unsere demokratischen Rechte aktiv wahrnehmen!

Für den Kreisvorstand

Ruth Storn    Thilo Hartmann       Lore Salomon