Was Inklusion wirklich bräuchte

Einschätzung des GEW Kreisvorstands Offenbach-Land zur inklusiven Bildung an den Schulen im Kreis Offenbach

Vorbemerkung: Inklusiver Unterricht in einem Schulsystem, das auf Abgrenzung und homogene Klassenbildung mit zeitgleichem Lernfortschritt setzt, ist ein Widerspruch, den man/frau bei der Diskussion nicht vergessen darf.

Trotzdem nimmt die GEW den in der UN-Behindertenrechtskonvention formulierten Auftrag ernst, sicherzustellen, dass „Menschen mit Behinderung gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem inklusiven, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben.“ (Art.24 Abs.2 b)

Um dies zu erreichen, sind aber entsprechende Rahmenbedingungen unerlässlich:

  •  Kleinere Klassen (mindestens orientiert am bisherigen GU), um Zeit für alle Kinder zu haben
  • Aufbau von multiprofessionellen Teams in den Schulen, in denen durch die gemeinsame Arbeit mit Kindern im Unterricht ein tragfähiges Vertrauensverhältnis entwickelt werden kann.

Dazu gehören:

  • ausreichende Personalausstattung mit zusätzlich einer Förderschullehrkraft sowie einer sozialpädagogischen Fachkraft für jeweils drei Klassen (alternativ: Doppelbesetzung in allen Klassen)
  • Sicherstellung der Schulsozialarbeit, die sich im Modellversuch „Begabungsgerechte Schule“ sehr bewährt hat, mit mindestens einer Stelle pro Schule,
  • Ausreichende zeitliche Ressourcen für Kooperation und Koordination sowie Entlastungsstunden für KlassenlehrerInnen
  • Kontinuität und Verlässlichkeit in der Ressourcenversorgung
  • eine räumliche und sachliche Ausstattung der Schulen, die den zu fördernden Schülerinnen und Schülern (SuS) angepasst ist (nicht nur Rampen für Rollstühle und behindertengerechte Toiletten, sondern auch Differenzierungsräume, Material zur individuellen Förderung ….)
  • Eine an die Herausforderungen inklusiven Unterrichts angepasste Lehrerausbildung (nicht jede Förderschullehrkraft ist spezialisiert auf alle Förderbereiche, nicht jede Lehrkraft kann Spezialistin für Inklusion sein)
  • Die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer muss bei der Vielfalt der zusätzlichen Aufgaben unterstützt und wertgeschätzt werden.

Wie sah die Unterstützung durch die Vereinbarung zur „Modellregion inklusive Bildung im Kreis Offenbach“ bisher aus?

  •  Für Schulsozialarbeit wurden bisher gerade einmal die 4 Stellen vom Kreis angeboten, die bereits dem Schulversuch „Begabungsgerechte Schule“ zugewiesen waren und dort auch zukünftig nötig sind, um das mit viel Kraft entwickelte inklusive Schulkonzept an diesen Schulen zu erhalten.


  • Auch die 13 zusätzlichen Förderschullehrerstellen aus dem Modellversuch „Begabungsgerechte Schule“ sollen dem Ausbau inklusiven Unterrichts an den Kreisschulen dienen. Würden diese Stellen allerdings abgezogen und auf andere Schulen verteilt, wäre mühsame, jahrelange  Aufbauarbeit im Rahmen des Schulversuchs zunichte gemacht.



  • Die von Seiten des Landes Hessen aus der Auflösung zweier Lernhilfe-Angebote bis zum Schuljahr 2018/19 frei werdenden 10,34 Förderschullehrerstellen sollen ebenfalls als Besonderheit der Modellregion Inklusion „im System verbleiben“, was allerdings eine schiere Selbstverständlichkeit ist, wenn man Schülerströme von Förderschulen an Regelschulen umlenkt.
  • Auch in räumlicher Hinsicht ist wahrlich kein großer Fortschritt erzielt worden, wenn von ca. 300.000 € Ausgaben aus den Haushalten 2014 - 2016 für inklusionsbedingten Raumbedarf nur ca. 156.000 € für Rampen, Treppenlifte, Handläufe und 3 Ruheraumabtrennungen und 2 Behindertentoiletten finanziert wurden.

Wenn 2013 von 90 Schulstandorten 23 überwiegend nicht oder gar nicht barrierefrei waren und nur 22 als voll barrierefrei eingestuft wurden, wären bis heute noch erhebliche räumliche Anpassungsmaßnahmen erforderlich gewesen. Leider konnte uns der Kreis in den letzten Wochen nicht mitteilen, inwieweit sich dies inzwischen verbessert hat bzw. wieweit zusätzlich geforderter Raumbedarf gedeckt werden konnte.

Ob die hessenweite Einführung Inklusiver Schulbündnisse (ISB) ein Gewinn für den inklusiven Unterricht sein wird, ist fraglich, zielt sie doch vor allem auf Flexibilisierungsmöglichkeiten bei der Mangelverwaltung. Das wird daran deutlich, dass

  • bereits bei der Einführung der ISB in den Pilotregionen „Förderausschüsse“ gesetzeswidrig mit der Intention einberufen wurden, einzelnen Kindern bestehende Förderansprüche abzuerkennen bzw. auf null zu setzen,


  • es Aufgabe der ISB ist, Standorte für inklusiven Unterricht festzulegen, womit eine Zweiteilung in Schulen mit und ohne inklusives Unterrichtsangebot impliziert ist und gegen den Grundsatz der UN-Behindertenrechtskonvention verstoßen wird, gemeinsames Lernen in der jeweiligen örtlichen Gemeinschaft zu organisieren,

Inwieweit in den ISB die Verteilung von Förderschullehrerstellen transparenter wird, muss sich noch zeigen. Aber auch bei größerer Transparenz bleibt die Forderung bestehen, inklusiv unterrichtende Schulen mit ausreichenden personellen Ressourcen zu versorgen.

Die 12 zusätzlichen Stellen für inklusiven Unterricht im Kreis Offenbach, die im Zusammenhang mit der Einführung von inklusiven Schulbündnissen zugewiesen werden, sind ein Schritt in die richtige Richtung, können aber aus Mangel an ausgebildeten Förderschullehrkräften nicht kurzfristig besetzt werden.

Wenn aus dieser Ressource Lehrkräfte an Regelschulen mit inklusivem Unterricht (GE) - auf ein Jahr befristet - Entlastung für die Koordination erhalten, ist das begrüßenswert, aber kein Bestandteil eines dauerhaften verlässlichen Konzepts.

Fast 8 Jahre nach der Verabschiedung der Behindertenrechtskonvention ist Hessen auf dem Weg zur inklusiven Schule nicht entscheidend vorangekommen, im Gegenteil: Bei dieser Art von Inklusion ist es nicht verwunderlich, dass die Vorbehalte zugenommen haben. Die Zahl der SuS an den Förderschulen ist keineswegs im erwarteten Ausmaß zurückgegangen, hat in einigen Regionen sogar zugenommen, auch im Kreis Offenbach.

Statt aber, wie Politiker es bereits andeuten, „das Tempo der Inklusion zu drosseln“, sollte auch die hessische Landesregierung in Wiesbaden die pädagogisch notwendigen Bedingungen für gelingende Inklusion endlich zur Kenntnis nehmen!

Wenn inklusive Bildung ernst genommen wird, muss aus der Mogelpackung auf dem Rücken aller Beteiligten endlich ein ausreichender Ressourcenplan werden und es muss eine Zusammenarbeit an den Schulen ermöglicht werden, bei der die Lehrkräfte mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen, Kompetenzen und Aufgaben die Gewissheit haben, dass den einen wirklich geholfen wird und die anderen wirklich willkommen sind!